Raus aus dem Kokon!

„Nicht sehen trennt von den Dingen, aber nicht hören trennt von den Menschen.“ Es war vermutlich Immanuel Kant, der die soziale Situation von Menschen mit einer Hörminderung so prägnant beschrieb. Und obwohl dieser Satz nun schon weit über 200 Jahre alt ist, hat er nichts von seiner Relevanz verloren. Nach wie vor sorgt der teilweise oder sogar gänzliche Verlust des Gehörs dafür, dass Betroffene von der Gesellschaft ausgegrenzt werden – oder sich selbst ausgrenzen.

 

Schätzungen zufolge leidet jede achte Person in Deutschland an einer Minderung des Hörvermögens. Die Gründe hierfür können ganz unterschiedlich sein. Am häufigsten ist die altersbedingte Schwerhörigkeit. Sie entsteht, weil die Sinneszellen im Innenohr allmählich verschleißen.

So nimmt die Hörfähigkeit bereits ab dem 50. Lebensjahr ab. Ursache können aber auch Erkrankungen sein, beispielsweise Diabetes mellitus, Herzkreislauferkrankungen, eine chronische Mittelohrentzündung, oder eine Funktionsstörung der Schilddrüse. Auch anhaltender Lärm, vor allem im Beruf, kann in eine Schwerhörigkeit münden. Ab dem 60. Lebensjahr leidet bereits jeder und jede Dritte unter einer alters- oder krankheitsbedingten Schwerhörigkeit.

 

Hörverlust wird viel zu häufig ignoriert

Meist entwickelt sich eine Minderung des Hörvermögens schleichend. Zunächst fallen einzelne Frequenzbereiche weg, meist im Bereich der hohen Töne. Später können dann alle Frequenzen betroffen sein, so dass ein kompletter Hörverlust die Folge ist. Für Betroffene ist es dennoch relativ einfach, sich mit dem beginnenden Hörverlust zu arrangieren – und ihn zu ignorieren. Häufig realisieren diese Menschen erst im Umgang mit ihrem sozialen Umfeld, dass etwas nicht stimmt: die Nachbarn beschweren sich über den zu lauten Fernseher; beim Telefonieren muss man immer wieder nachfragen, was das Gegenüber gesagt hat; beim Familienbesuch im Restaurant hängt plötzlich der Haussegen schief, weil die Anwesenden vermeintlich zu leise reden würden, obwohl sie in ganz normaler Lautstärke miteinander sprechen.

 

Soziale Isolation durch Schwerhörigkeit

Manchmal werden solche „Nörgler“ und „Störenfriede“ von ihrem Umfeld ausgegrenzt. Viel häufiger klinken sich Menschen mit einer Schwerhörigkeit aber freiwillig aus, um Ärger oder Irritationen zu vermeiden. Sie werden stiller, meiden den Kontakt mit anderen oder bestimmte Situationen, in denen sie sich zunehmend unsicher fühlen.

Von anderen wird dieses Verhalten nicht selten als Desinteresse fehlinterpretiert und die Person immer weniger in soziale Zusammenhänge eingebunden. Die Folge ist oft eine Art der Vereinsamung und (Selbst-)Ausgrenzung, der freiwillige Rückzug in einen stillen Kokon.

 

Freunde und Familie können helfen

Ein weit verbreiteter Grund, die Diagnose so weit wie möglich hinauszuschieben, ist die Eitelkeit: Allzu häufig empfinden Menschen ein Hörgerät als eine Art Stigma, als ein äußerlich sichtbares Zeichen für die eigene Gebrechlichkeit und Unzulänglichkeit.

Dabei ist Schwerhörigkeit viel weiter verbreitet, als diese Menschen meist glauben. Zudem kann sie prinzipiell jeden treffen. Doch Freunde und Angehörige können hierbei helfen: Indem sie die betroffene Person ermutigen und beim Gang zum HNO-Arzt oder Hörakustiker unterstützen, helfen sie ihr, sich mit der zunächst ungewohnten Situation zu arrangieren – und meist auch ein gutes Stück Lebensqualität zurückzugewinnen.

 

Kleine Geräte mit großer Wirkung

Die Auswahl an Geräten ist mittlerweile so groß und vielfältig, dass die unterschiedlichsten Anforderungen und Bedürfnisse erfüllt werden können. Unterteilt werden Hörgeräte dabei in zwei Gruppen: die äußerlich sichtbaren Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte (HdO) und die fast unsichtbaren In-dem-Ohr-Hörgeräte (IdO).

Zudem lassen sich digitale Hörgeräte programmieren, so dass sie sich automatisch auf verschiedene Situationen einstellen können. Übrigens ist die frühe Versorgung wichtiger, als viele glauben. Denn durch die allmähliche Gewöhnung der Patientinnen und Patienten an das
verminderte Hörvermögen kann es beim Einsatz eines Hörgeräts möglicherweise zu einer Überforderung durch die wiedergewonnene Klangvielfalt kommen.

 

Fazit: Sprechen Sie das Problem behutsam an, wenn Sie das Gefühl haben, eine Person in Ihrem Umfeld leidet an Hörverlust. Und hören Sie zu, wenn Freunde und Familie mit Ihnen über Hörverlust sprechen wollen. Denn Zuhören ist der erste Schritt zum
Verständnis.

 

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