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5 Fragen zum Thema „Tinnitus“ an Frau Prof. Mazurek
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5 Fragen zum Thema „Tinnitus“ an Frau Prof. Mazurek
Hoher Leidensdruck durch Ohrgeräusche
Frau Prof. Mazurek, Sie sind Direktorin des Tinnitus-Zentrums an der Charité Berlin. Was versteht man unter einem Tinnitus? Und wie wird er von Betroffenen erlebt?
Unter einem Tinnitus versteht man einen Ton oder ein Geräuschempfinden, das keine externe Quelle hat. Das kann ein Pfeifen sein, ein Summen, ein Rauschen, ein Pulsieren, oder auch eine Art Hämmern. Wir unterteilen dabei in einen akuten und einen chronischen Tinnitus.
Wie dieses Ohrgeräusch von einzelnen Patienten erlebt wird, kann sehr unterschiedlich sein. Manche Patienten können sich gut mit ihrem Tinnitus arrangieren. Andere verspüren dagegen einen sehr hohen Leidensdruck, der teilweise auch starke psychische Komorbiditäten wie beispielsweise Depressionen und Angsterkrankungen auslösen kann.
Was ist der Unterschied zwischen einem akuten und einem chronischen Tinnitus?
Hält ein Ohrgeräusch nicht länger als drei Monate an, sprechen wir von einem akuten Tinnitus. Einen solchen akuten Tinnitus können wir noch behandeln, weshalb Betroffene schnellstmöglich eine HNO-Praxis aufsuchen sollten, um die Ursache abzuklären und mit einer Therapie zu beginnen. Die stützt sich vor allem auf eine Cortison-Behandlung, damit Gefäße abschwellen, die Durchblutung gefördert wird, und eine eventuelle Entzündung abklingt.
Ab einer Dauer von drei Monaten gilt ein Tinnitus dann als chronisch. Zwar kann die Intensität des Ohrgeräuschs noch immer schwanken, gänzlich verschwinden wird es aber wohl nicht mehr.
Eine Therapie konzentriert sich in diesen Fällen daher insbesondere auf die Linderung der teilweise schweren psychischen Belastungen, die durch einen Tinnitus entstehen können. Das Ziel dabei ist es, den Betroffenen aufzuzeigen, wie man den Alltag trotz Tinnitus und ohne eine allzu große Minderung der Lebensqualität bewältigen kann.
Wie häufig ist denn ein solch hoher Leidensdruck bei Betroffenen?
Aktuelle Prävalenzstudien besagen, dass in Europa zwischen zehn und dreißig Prozent der Bevölkerung unter einem Ohrgeräusch leiden. In Deutschland sind es rund 12 Prozent. Davon verspürt ungefähr die Hälfte einen durch den Tinnitus ausgelösten Leidensdruck. Wirklich schwer ausgeprägt, ist dieser glücklicherweise aber nur bei etwa einem Prozent.
Allerdings kann er dann so belastend sein, dass Betroffene sogar Suizidgedanken entwickeln. Außerdem gibt es in der Qualität der Erkrankung geschlechtliche und altersbedingte Unterschiede. So wurde festgestellt, dass ältere Frauen häufiger einen Leidensdruck entwickeln als jüngere Frauen oder gleich alte Männer. Dieser Unterschied wird sich in Zukunft sicherlich auch in den diagnostischen und therapeutischen Ansätzen widerspiegeln.
Wie entsteht ein Tinnitus? Kann man sich irgendwie davor schützen?
Prinzipiell ist Tinnitus definiert als ein Symptom von Störungen oder Veränderungen im Bereich des Hörsystems. Diese Störungen können einzelne Komponenten des Gehörs betreffen, beispielsweise die Hörschnecke oder die Nervenverbindung zwischen dem Ohr und dem Gehirn.
Aber auch ein Hörsturz, Lärmtraumata, spezifische Innenohrerkrankungen wie der Morbus Menier, neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Tumore können einen Tinnitus verursachen. Schützen kann man sich also nur bedingt, indem man auf das Gehör achtet und insbesondere zu viel Lärm und Stress meidet.
Welche Strategien gibt es, um sich mit einem Tinnitus zu arrangieren?
Zunächst einmal können Betroffene ein Counselling in Anspruch nehmen, das sowohl aufklären als auch beraten soll. Ein solches Counselling kann in der HNO-Praxis stattfinden, oder aber in Zentren oder Kliniken, die auf Tinnitus spezialisiert sind. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die kognitive Verhaltenstherapie, damit Betroffene lernen, mit dem Ohrgeräusch auch im Alltag umzugehen.
Ist die Leistungsfähigkeit des Gehörs eingeschränkt, können außerdem hörtherapeutische Maßnahmen wie Hörgeräte sinnvoll sein. Auch Selbsthilfegruppen sind relevant und können Betroffenen beim Umgang mit ihrer Erkrankung helfen. Nicht zuletzt ist aber auch die Behandlung von psychischen Begleiterkrankungen wichtig. Denn der durch einen Tinnitus hervorgerufene Leidensdruck spielt sich zuallererst in der Psyche ab.
Vielen Dank für dieses Interview,
Frau Prof. Mazurek!