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Auch die Gedanken mal wandern lassen
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Auch die Gedanken mal wandern lassen
Tagträumerei hat kein gutes Image. Dabei kann die Beschäftigung mit den eigenen Gedanken die Kreativität anregen und Hilfestellung beim Lösen komplexer Probleme bieten.
Wirklich einmal nichts zu tun hat in unserer Gesellschaft echten Seltenheitswert. Normalerweise zücken wir lieber gleich das Handy, um Nachrichten zu checken, Selfies zu machen oder eine Unterhaltung mit Freunden anzuzetteln. Zeit, die wir ganz alleine mit uns selbst verbringen, die nehmen wir uns kaum noch. Manchmal scheint uns eine so (un)erfüllte Zeit sogar fast bedrohlich, als müssten wir uns dann einem großen Widersacher stellen, dem Bosskampf gegen den eigenen Kopf. Warum das ein gigantisches Missverständnis sein könnte, untersuchte kürzlich ein Team um den Psychologen Kou Murayama von der Universität Tübingen.
Einzige Aufgabe: Nichtstun
Die rund 260 Probanden, die an dem Experiment teilnahmen, hatten dabei lediglich die Aufgabe, sich 20 Minuten mit nichts zu beschäftigen. Dafür wurden ihnen all die üblichen Gadgets, mit denen wir normalerweise Zeit totschlagen, weggenommen. Aber außer der Nutzung von Handy & Co. durften die Teilnehmer auch nicht ans Fenster gehen, um etwa nach draußen zu schauen. Was für Menschen mit Meditationserfahrung keine große Herausforderung wäre, war für die Probandinnen und Probanden eine echte Prüfung. Zudem mussten sie im Vorfeld angeben, wie hoch sie die zu erwartende Langeweile (meist ziemlich hoch) und den Spaßfaktor (meist ziemlich niedrig) einschätzten.
Zufriedener als erwartet
Aber siehe da: Nach Ablauf der 20 Minuten Tagträumerei hatte sich diese negative Erwartungshaltung deutlich relativiert. Zwar hatten sie nicht das Nirwana erreicht und auch in der Rückschau waren diese 20 Minuten nicht die spannendsten ihres Lebens. Die ablehnende Grundhaltung hatte sich bei den meisten Probandinnen und Probanden jedoch deutlich abgemildert und war wenigstens zum Teil einer Art von Zufriedenheit gewichen. Sie hatten offensichtlich gemerkt, dass die Beschäftigung mit den eigenen Gedanken nicht nur nicht angsteinflößend sein muss, sondern sogar Ruhe, Fokus und manchmal sogar so etwas wie Einsicht vermitteln kann.
Unscheinbar, aber wertvoll
Den Grund für die negative Erwartungshaltung angesichts der Fokussierung auf sich selbst vermuten die Forscher um Murayama in der Tatsache, dass die Belohnungen unseres Gehirns an uns selbst in aller Regel unterwältigend sind. Ein kleines Beispiel: Während unser Handy und all die anderen Medien, auf die wir meist ständig Zugriff haben, uns mit Geschenken zuschütten, wie der von einem schlechten Gewissen geplagte Onkel an Weihnachten, überreicht uns unser Gehirn eher ein paar selbstgestrickte Socken und legt noch einen schlauen Ratschlag drauf. Klar, was uns da zunächst einmal mehr begeistert, oder? Allerdings, das betont Murayama ebenfalls, kann die Fokussierung auf die eigenen Gedanken auch problematisch sein. Das ist zum Beispiel bei Personen der Fall, die schnell in eine negative Gedankenspirale abgleiten. Diesen Menschen könnte es zum Beispiel helfen, sich ihren Gedanken unter professioneller Anleitung zuzuwenden – um sie letztlich als einen Schatz zu begreifen, mit dem sie ihr Leben bereichern können.