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Ist es Rheuma – oder nicht?

Patienten mit einem Rheumaleiden warten im Schnitt etwas länger als ein Jahr auf eine Diagnose. Je nach Art der rheumatischen Erkrankung kann es aber auch doppelt so lange dauern. Dabei geht wertvolle Zeit verloren, denn eine schnelle Diagnose würde auch eine schnellere Therapie bedeuten. Das ist bei Rheuma ganz entscheidend. Je früher entzündliches Rheuma diagnostiziert wird, umso wirkungsvoller lassen sich die Symptome bekämpfen.

 

Rheuma hat viele Gesichter. Unter dem Sammelbegriff werden sehr unterschiedliche Erkrankungen zusammengefasst. Deshalb dauert es oft lange, bis ein Arzt die richtige Diagnose stellt. Auch Blutuntersuchungen auf Rheumafaktoren geben nicht immer eine zuverlässige Antwort. Da sich die meisten Patienten mit ihren Beschwerden an den Hausarzt wenden, muss dieser zunächst entscheiden, ob die Beschwerden des Patienten möglicherweise von einer rheumatischen Erkrankung herrühren. Auch beim Facharzt kann es eine Weile dauern, bis eine Diagnose gestellt werden kann. Denn auch die fachärztlichen Untersuchungen nehmen Zeit in Anspruch. Schließlich muss auch der Rheumatologe zunächst andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen ausschließen. Es kann also eine Weile dauern, bis der Patient die richtige Diagnose bekommt und seine Therapie beginnen kann.

 

Gerade bei entzündlichen rheumatischen Erkrankungen wie der Rheumatoiden Arthritis oder Morbus Bechterew ist eine schnelle Diagnose wichtig. Denn frühzeitig erkannt, lässt sich in den ersten Monaten der Erkrankung der immunologische Prozess noch stoppen und nachhaltig beeinflussen. Danach schließt sich das sogenannte therapeutische Fenster.

 

Vier verschiedene Rheuma-Gruppen?

Zu den entzündlich-rheumatischen Rheumaerkrankungen gehören diejenigen, bei denen die Entzündung nicht nur ein oder mehrere Gelenke, sondern den ganzen Körper betreffen kann. Dann geht Rheuma beispielweise mit Schuppenflechte und chronischen Darmentzündungen Hand in Hand, befällt Bindegewebe und Gefäße, zieht innere Organe in Mitleidenschaft, führt zu Muskelerkrankungen oder zu Erkrankungen des Nervensystems.

 

Die bekannteste entzündlich-rheumatische Rheumaerkrankung ist die Rheumatoide Arthritis, von der in Deutschland etwa 550.000 Menschen betroffen sind. Hierbei wendet sich das Immunsystem gegen seine eigenen Strukturen und greift die Gelenke an. Zu diesem Formenkreis zählt auch Morbus Bechterew, eine Erkrankung, bei der die Gelenke der Wirbelsäule verknöchern und in Folge versteifen. In Deutschland haben etwa 340.000 Menschen Morbus Bechterew. Die genauen Ursachen der Erkrankung sind bis jetzt unbekannt. Man weiß zwar, dass es sich um eine Fehlsteuerung des Immunsystems handelt. Aber warum hauptsächlich die Gelenke der Wirbelsäule davon betroffen sind, weiß man bislang nicht. An Morbus Bechterew leiden häufig junge Männer unter 30.

 

In diese Gruppe gehört auch die Psoriasis-Arthritis, bei der sowohl die Haut als auch die Gelenke betroffen sind. Ferner die Kollagenose, eine seltene rheumatisch-entzündliche Erkrankung, die das Bindegewebe und den ganzen Körper betrifft, wie beispielsweise Lupus erythematodes oder das Sjögren-Syndrom. Lupus erythematodes ist eine seltene Rheumaerkrankung. Selten bedeutet, dass höchstens 5 von 10.000 Menschen darunter  leiden.

 

Zu den entzündlich-rheumatischen Rheumaerkrankungen gehört ebenfalls die jugendliche, idiopathische Arthritis (JIA), die bereits vor dem 16. Lebensjahr beginnt. Meistens werden die Gelenke geschädigt, doch die Krankheit kann auch Organe befallen. Bei 50 Prozent der betroffenen Kinder bleibt die Erkrankung aktiv, sie müssen auch als Erwachsene weiter behandelt werden. In Deutschland leben etwa 15.000 Kinder und Jugendliche mit JIA, jedes Jahr kommen 1.500 neu dazu.

 

Verschleißbedingte (degenerative) Erkrankungen

Unter den degenerativen Erkrankungen werden die Arthrosen zusammengefasst, also alle verschleißbedingten Erkrankungen. In Deutschland gibt es etwa 5 Millionen, meist ältere Menschen, die an Arthrose leiden, denn altersbedingt verschleißen Gelenke im Laufe des Lebens. Typisch sind Belastungsschmerzen, die sich beim Entlasten der Gelenke verbessern. Arthrose ist nicht heilbar, aber die damit verbundenen Schmerzen können behandelt werden. Neben der Schmerzfreiheit ist die Stärkung des Gelenkknorpels Ziel der Behandlung.

Zur konservativen Therapie gehören gelenkschonende Maßnahmen im Alltag, gelenkentlastende Bewegung, Physiotherapie und – sofern Übergewicht vorliegt – eine Gewichtsreduktion. Behandelt wird auch schmerz- und entzündungshemmenden Medikamenten, sogenannten NSAR (Nicht-steroidale Antirheumatika), Schmerzmitteln und knorpelschützenden Substanzen. Manche Ärzte bieten auch Injektionen mit Hyaluronsäure in das betroffene Gelenk an.

 

Rheumatische Erkrankungen der Weichteile

Beinahe jeder Mensch leidet in seinem Leben unter weichteilrheumatischen Beschwerden. Die Kategorie Weichteilrheumatismus ist deshalb die größte. Die Beschwerden werden durch Überlastung, Reizungen, Fehlhaltung oder Verspannung verursacht und betreffen Muskeln, Sehnen sowie andere Weichteilgewebe. Betroffen sind die weichen, nicht knöchernen Bestandteile des Bewegungsapparates, wie Sehnen, Bänder, Muskeln, Nerven, Schleimbeutel oder Faszien. Die Schmerzen können in den Weichteilen des gesamten Körpers auftreten oder nur an bestimmten Körperstellen.

Da es sich nicht um Erkrankungen mit Gewebezerstörung handelt, spricht man hier von Funktionsstörungen, die meistens nur eine Körperregion betreffen: beispielsweise den „steifen Nacken“, den Tennisellbogen oder den Rücken, der durch langes Sitzen schmerzt. In diese Abteilung des rheumatischen Formenkreises gehört auch die Fibromyalgie, eine chronische Schmerzerkrankung. Sie führt vor allem zu Schmerzen in den Muskeln und Knochen, verursacht aber auch weitere Symptomen, wie zum Beispiel Müdigkeit oder chronische Schlafstörung. Betroffen sind hauptsächlich Frauen ab 35 Jahren.

 

Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden

Unter Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden werden Erkrankungen zusammengefasst, die keine Bewegungsorgane betreffen. Bekannteste Beispiele sind Osteoporose und Gicht. Bei Osteoporose ist der Knochenstoffwechsel gestört und in Folge werden die Knochen mürbe. Osteoporose oder Knochenschwund führt im fortgeschrittenen Stadium zu Knochenbrüchen vor allem an Oberschenkelhalsknochen, Unterarmknochen und sogar zum Einbrechen von Wirbelkörpern. Außerdem kann ein Rundrücken entstehen. Osteoporose kann eine Folge von entzündlichem Rheuma sei. Gicht ist eine Störung des Harnstoffwechsels. Durch die Anreicherung von Harnsäure im Blut oder durch Ablagerung von Harnsäurekristallen in den Gelenken kommt es zu Gelenkentzündungen, Schwellungen und Schmerzen. Gichtanfälle betreffen oft den großen Zeh oder ein anderes Gelenk, das sich dann erwärmt, rötet und anschwillt.

 

Rheuma ist leider immer noch nicht heilbar

Noch immer ist Rheuma nicht heilbar, auch wenn die Forschung schon einige Fortschritte zu verzeichnen hat. Wer an Rheuma erkrankt, leidet meist das ganze Leben darunter. Bislang können die Ärzte lediglich die Schmerzen lindern und mit modernen Behandlungsverfahren die Zerstörung der Gelenke aufhalten. Eine frühzeitige Diagnose und eine frühzeitiger Therapiebeginn sind deshalb so wichtig, weil sie bleibende Schäden weitgehend verhindern können. Ein Merkmal der Rheuma-Erkrankungen ist, dass sie meistens in Schüben verlaufen. Zwischen schmerzhaften Krankheitsphasen liegen oft lange, beschwerdefreie Zeitspannen. Deshalb werden Menschen mit Rheuma oft ausgegrenzt oder ihre Beschwerden nicht ernst genommen. Da ihre Krankheit „unsichtbar“ ist, können Familienmitglieder, Freunde oder Arbeitskollegen oft nur schwer nachvollziehen, dass sie an einem Tag völlig gesund wirken, aber schon am nächsten Tag nicht mehr arbeitsfähig sind. Das ist für Betroffene äußerst belastend.

Da im Krankheitsverlauf große individuelle Unterschiede bestehen und jeder Patient mit einer ganz individuellen Problematik zu kämpfen hat, muss die Behandlung spezifisch zugeschnitten werden. Einige Patienten leiden unter sehr starken Beschwerden, bei anderen sind sie verhältnismäßig milde. Ziel jeder Therapie ist es, die zerstörerische Erkrankung zumindest zu stoppen, die Schmerzen zu lindern und den Patienten ein möglichst normales Leben zu ermöglichen. Je früher die Krankheit diagnostiziert wird, umso besser sind die Chancen.

 

Patienten brauchen eine individuelle und optimale Therapie

Eine gute Rheumatherapie besteht aus gut aufeinander abgestimmten Modulen. Neben den entzündungs- und schmerzlindernden Medikamenten zur „Soforttherapie“ und den Basismedikamenten für die Langzeittherapie gehören auch nicht medikamentöse Therapien dazu, wie etwa Krankengymnastik oder Bewegungstherapie. Da die Einnahme von Medikamenten immer mit dem Risiko von Nebenwirkungen verbunden ist, müssen bei chronischen Krankheiten die Vor- und Nachteile immer besonders sorgfältig abgewogen werden.

 

Bei akuten Schüben mit Schmerzen hilft Kortison am besten, manchmal muss es auch zur Dauertherapie eingesetzt werden. Ohne Kortison kommen die nicht steroidalen Antirheumatika aus, die sogenannten NSAR. Sie lindern ebenfalls Schmerzen und hemmen Entzündungen. Allerdings können sie auf längere Sicht die Magen-Darm-Schleimhaut angreifen, die Nieren schädigen und den Blutdruck erhöhen. Auch die neue Generation der NSRA, die COX-2-Hemmer, ist nicht nebenwirkungsfrei und erhöht das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle.

 

Basistherapeutika, die aktiv in das Immunsystem eingreifen, brauchen eine gewisse Zeit, bis ihre Wirkung einsetzt, sie hält dafür aber länger an. Bei Rheumatoider Arthritis wird häufig Methotrexat (MTX) verwendet, das bei 60 Prozent der Betroffenen greift. Bleibt es wirkungslos, wird es manchmal mit anderen Basistherapeutika kombiniert. Mögliche Nebenwirkungen: Veränderungen des Blutbildes, Störungen der Nieren- und Leberfunktion, Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, Müdigkeit.

 

Biologika und Biosimilars

Seit einigen Jahren haben sogenannte „Biologika“, beispielsweise TNF-α-Blocker, neue Therapieoptionen eröffnet. Biologika sind biotechnologisch hergestellte Eiweißsubstanzen. Sie zielen entweder auf bestimmte entzündungsfördernde Botenstoffe oder direkt auf Immunzellen. Zu den wichtigsten Botenstoffen bei chronischen Entzündungen gehört der Tumornekrose-Faktor alpha. Medikamente mit TNF-α-Hemmern werden beispielsweise bei schwerer Rheumatoider Arthritis eingesetzt. In Deutschland sind zahlreiche Biologika erhältlich. Ihr Vorteil: Sie wirken schnell und oft profitieren von ihnen auch Patienten, bei denen andere Medikamente nicht erfolgreich waren. Ihr Nachteil: Sie sind wesentlich teurer und ihre Nebenwirkungen sind noch nicht hinreichend erforscht. Fest steht, dass sie das Immunsystem dämpfen, Überempfindlichkeitsreaktionen auslösen und Organfunktionen beinträchtigen können. Doch trotz ihrer Nebenwirkungen sind sie in schwierigen Fällen eine Option und haben vielen Patienten neue Hoffnung gegeben. Biologika werden beispielsweise bei der Rheumatoiden Arthritis erst eingesetzt, wenn die klassische Basistherapie versagt. Seit 2015 sind auch die ersten Biosimilars zur Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen auf dem deutschen Markt erhältlich. Diese sogenannten Biosimilars sind „Biologika-ähnliche biologische Arzneimittel“. Dabei handelt es sich um Nachahmerprodukte eines bereits zugelassenen, biotechnologisch hergestellten Original-Biologikums. Sie sind nicht mit den Originalen identisch, sondern ähnlich.

 

Was essen bei Rheuma?

Grundsätzlich gibt es keine „Rheuma-Diät“, die in der Lage wäre, Rheuma zu heilen. Aber mit einer gesunden, abwechslungsreichen Ernährung kann man den Körper unterstützen und das persönliche Wohlbefinden fördern.  Das hat auch einen positiven Einfluss auf den Therapieerfolg. Auf dem Einkaufszettel sollten außerdem Obst und Gemüse stehen, die den Körper mit Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen versorgen. Wichtig ist auch eine ausreichende Zufuhr von Kalzium beispielsweise mit fettarmen Milchprodukten wie Joghurt und Quark oder Käse. Fleisch sollte in Maßen verzehrt werden und bei tierischen Nahrungsmitteln auf einen geringen Fettgehalt geachtet werden. Pflanzliche Fette sind vorteilhafter als tierische Fette, die eher gemieden werden sollten, da sie entzündungsfördernd sind. Ausnahme: fette Kaltwasserfische, wie Makrele, Hering oder Lachs.

 

So wie es „Das Rheuma“ nicht gibt, ist auch jeder Rheumapatient anders. Jede Therapie muss individuell angepasst werden. Letztlich müssen Arzt und Patient eine gemeinsame Entscheidung treffen, die Chancen und Risiken abwägt.

 

Welt-Rheuma-Tag – diesmal digital

Seit 1996 wird alljährlich am 12. Oktober über die Erkrankung Rheuma, die Lebensumstände und besonderen Anliegen von Erkrankten sowie über neueste Forschungsergebnisse und Behandlungsmöglichkeiten informiert. In diesem Jahr wird der Welt-Rheuma-Tag 2020 digital begangen: Auf der Homepage der Deutschen Rheuma-Liga und auch auf YouTube können sich Interessierte ab dem 12. Oktober eine Fülle von Vorträgen ansehen, die zuvor mit Experten aufgezeichnet wurden. Denn nicht nur Viren können sich anpassen, der Mensch kann es mindestens ebenso gut!

 

 

 

 

 

 

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