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Kribbeln oder Taubheitsgefühle?

Über – vor allem durch Diabetes – hervorgerufene Schäden an den Nerven sprach die Redaktion mit Prof. Dr. Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie am Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ).

 

Was muss man sich unter dem Begriff
„Polyneuropathie“ vorstellen?

Die wörtliche Übersetzung lautet „Beschwerden an vielen Nerven“ und das trifft das Problem genau. Durch bestimmte Auslösefaktoren können die Nervenscheiden ganz unterschiedlicher Nerven geschädigt werden, sodass diese dann nicht mehr richtig funktionieren.

 

Mit welchen Symptomen macht sie sich
bemerkbar?

Diese können sehr vielfältig sein. Manche Patienten berichten über Taubheitsgefühle speziell in den Füßen und haben keine Temperatur- oder Schmerzwahrnehmung. Bei anderen Patienten treten Kribbeln und Ameisenlaufen auf. In Extremfällen berichten die Betroffenen auch über einschießende Schmerzen in die Beine, wenn man abends zur Ruhe kommt.  

 

Wie viele Menschen in Deutschland sind betroffen, und wie viele tun nichts dagegen?

Dazu gibt es kaum Zahlen, häufig wird eine fehlerhafte Diagnose gestellt und die Beschwerden auf Durchblutungsstörungen zurückgeführt. Doch wenn die Beschwerden in Ruhe oder nach dem Zubettgehen auftreten, kann dies nichts mit den Blutgefäßen zu tun haben.

 

Vorwiegend  Diabetiker bekommen
eine Neuropathie. Warum?

Bedingt durch erhöhte Blutzuckerwerte kommt es zu einer Schädigung der Nervenscheiden. Da erhöhte Blutzuckerwerte bei älteren Personen meist nicht durch Beschwerden auffallen, können diese über Jahre dramatisch erhöht sein und schädigen dann kontinuierlich die Nerven. Treten Beschwerden auf, ist es aber meist zu spät, denn eine wirkliche Heilung bei Neuropathie gibt es nicht.

 

Auch Alkohol spielt dabei eine negative Rolle?

Es gibt viele andere Ursachen für eine Polyneuropathie. Neben Chemotherapien, die ja nicht nur den Tumor vergiften, kann auch übermäßiger Alkoholkonsum eine Ursache darstellen, da dies bekanntlich ein Nervengift ist. Doch da müssen schon hohe Mengen Alkohol konsumiert worden sein, das Glas Wein am Abend ist nicht die Ursache! In vielen Fällen ist die Ursache aber nicht bekannt, die Ärzte sprechen dann von einer „ideopathischen Polyneuropathie“, das heißt übersetzt „Ursache unbekannt“!

 

Was passiert, wenn man nichts gegen die Schäden
an den peripheren Nerven unternimmt?

An den Schäden der Nerven kann man meist nichts machen, aber trotzdem ist die Diagnose wichtig, damit man sich vor Komplikationen schützen kann. Wenn man an den Füßen keine Temperaturempfindung mehr hat, kann man sich schnell bei einem zu heißen Fußbad oder in der Sauna schwere Verbrennungen zuziehen. Auch Druckstellen an den Füßen werden nicht bemerkt. Beim Schuhkauf sollte man daher zu Hause die Füße auf eine Pappe stellen, die Umrisse aufmalen und dann diese Pappsohle ins Geschäft mitnehmen. Wenn die nicht in den Schuh hineinpasst, ist das Modell auch nichts für die Füße!

 

Und was sind die häufigsten Folgen einer spät erkannten
Polyneuropathie bei Diabetes?

Druckstellen, chronische Geschwüre bis hin zu unnötigen Amputationen von Zehen oder ganzen Beinen sind Auszüge aus dem Horrorkabinett von nicht erkannten Polyneuropathien.

 

Welche Behandlungsmethoden und Maßnahmen
betrachten Sie als die wichtigsten?

Das Wichtigste ist eine Früherkennung des Diabetes, damit keine Schäden an den Nerven entstehen können. Wenn eine Polyneuropathie vorhanden ist und zu Beschwerden führt, dann kann man Medikamente einsetzen, die aber in der Regel erhebliche Nebenwirkungen haben. Klassische Schmerzmedikamente sind meist wirkungslos.

 Wir haben vor 10 Jahren entdeckt, dass die sogenannte Hochtontherapie – eine Form der Elektrotherapie – den Betroffenen sehr gut helfen kann. Diese Therapie muss aber mit speziellen Geräten, die die Betroffenen zu Hause selber anwenden können, alle zwei bis drei Tage durchgeführt werden. Immer wieder berichten Betroffene, die über Jahre jede Nacht aufgrund der Polyneuropathie durch Schmerzen aufgewacht sind, dass sie wieder durchschlafen können. Das Gute an dem Verfahren ist, dass es keine Nebenwirkungen hat!

 

 

 

 

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